Literaturwettbewerb 2018

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Patagonien

Ein Reich, das wie kaum ein zweites die Gedanken und Gefühle vieler großer Menschen beflügelt hat. Der Zauber, er ist auch heutzutage noch nicht erloschen – hinein also in die Heimat des Windes, auf also in das Land des Abenteuers, und bis an das Ende der Welt!

Eine ewige Busfahrt brachte mich tiefer in diese verlassenen Ebenen hinein. Über einen gesamten Tag lang schipperte ich über die berühmte Ruta 40 und einen Teil ihrer 5301 Kilometer. Hier gibt es nichts mehr, nur die endlosen Weiten der Patagonischen Steppe. Nie zuvor in meinem Leben, hatte ich solche Horizonte gesehen. Dieses Land ist so weit … man versteht sofort, wie sich die legendären Gesetzlosen Butch Cassidy und Sundance Kid hier jahrelang erfolgreich verstecken konnten. Nur die wilden Guanakos, die Stammform der Lamas, durchstreifen hier einsam das Gras.
Als Charles Darwin im 19. Jahrhundert die Welt umsegelte, schrieb er:

„Wenn ich mir Bilder aus der Vergangenheit zurückrufe, so bemerke ich, dass die Ebenen von Patagonien häufig vor meinen Augen erscheinen. Warum haben denn nun diese dürren Wüsten sich einen so festen Platz in meinem Gedächtnis errungen? Ich kann diese Empfindungen kaum analysieren. Sie müssen aber die Folge davon sein, dass hier der Einbildung volle Freiheit gegeben ist. Die Ebenen von Patagonien sind ohne Grenzen, denn sie sind kaum zu durchqueren und daher unbekannt. Sie sind dadurch geprägt, dass sie Jahrhunderte lang so bestanden haben, wie sie jetzt sind, und es scheint keine Grenze für ihre Dauer durch künftige Zeiten zu bestehen.“

Tatsächlich sieht hier noch immer herzlich wenig nach moderner Zivilisation aus. Mein Glück war es, zeitlich wieder einmal perfekt unterwegs gewesen zu sein. Im Dezember und Januar ist Patagonien am schönsten – außerhalb dieser hiesigen Sommerzeit, kann man einige Gebiete erst gar nicht erreichen: Wege sind gesperrt, Flüsse nicht passierbar, Fähren außer Betrieb. Ich fand mich im kleinen Dorf El Chaltén ein, welches sich inmitten eines Nationalparks befindet und damit erst recht abseits aller urbanisierten Welt. Der erst 1985 gegründete Ort ist einer der jüngsten ganz Argentiniens und gilt als das Trekkingparadies des Landes. Hier soll es dessen schönste Wanderrouten geben. Für lange Zeit war diese Natur völlig unberührt. Vor gerade einmal 150 Jahren kamen die ersten Pioniere in diese Gegend. Und man erkennt schnell, warum sie blieben: dieses Fleckchen Erde befindet sich in dramatisch kraftvoller Lage; eingebettet von Bergen und Gletschern, durchströmt von den Winden der Wildnis.

Eines der ersten Dinge, die ich beim Betreten des Zimmers meiner rustikalen Herberge sah, war Jon Krakauers Buch In eisige Höhen. Ein Werk, durchtränkt von einer Stärke, wie sie oft nur die innere Notwendigkeit zum Schreiben zu geben vermag. Es musste Zeugnis abgelegt werden, nachdem der Autor als einer von nur Wenigen eine spektakuläre Besteigung des Mount Everest überlebt hatte. Ganz klar bei solcher Lektüre: im Bett neben mir lag ein Abenteurer. Hier versammeln sie sich: die Kletterer, die Bergsteiger und Wanderer; begehen mit Eisschuhen die Gletscher, spannen Laufseile über riesige Abgründe, schlafen wochenlang im Freien. Alles ist auf sie eingestellt – von Läden mit neuester Bergausrüstung bis hin zu zünftigen Hütten der Einkehr.

Viele Routen existieren hier. Heranwagen musste ich mich gleich an eine der anspruchsvollsten, die auf den Namen „Laguna de los tres“ hört. Lange erstreckt sich der Pfad bis zu einer Stelle, an der man dem berühmtesten Berg dieser Gegend von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht: dem Fitz Roy. Benannt nach dem Kapitän der Beagle, eben jenes Schiffes, welches Darwin um die (vornehmlich südamerikanische) Welt brachte. In der Sprache der Tehuelche, der hiesigen Ureinwohner, besitzt er auch den Namen Chaltén: der Rauchende. Tatsächlich ist seine 3406 Meter hohe Spitze meist von Wolken umhüllt.

Der Weg führt vorbei an weißen Flüssen aus trinkbarem Gletscherwasser, durch dichtbewachsene Wälder mit knochigem Totholz, über riesige Lichtungen und Meere aus Gras hinweg, und schließlich hinauf zum Berg. Der Wind läuft zu seiner Höchstform auf; hier ist er ungestört. Insgeheim fragte ich mich oft, wo er wohl gerade herkam: „Weht einem jetzt der Duft der Anden um die Nase, kann man noch salzige Überreste des Stillen Ozeans aus dem Westen wahrnehmen, oder hast du gar eine noch längere Reise hinter dir compañero, und kommst weit von Süden her, aus der Antarktis?“ Selten spricht er, verrät sein Geheimnis fast nie. Freimütiger tritt da die Umgebung mit einem in Kontakt und entfaltet ihre seltsam ehrfurchtgebietende Kraft. Hier sind nicht die Alpen, mit ihrer stillen Harmonie – die Schönheit Patagoniens, sie ist eine raue.

Unterwegs begegnete mir lange Zeit keine Menschenseele, dann wieder stieß ich im Wald gleich auf ein ganzes Zeltlager. Man hatte sich an einer wichtigen Kreuzung niedergelassen, an der verschiedenste Routen zusammenlaufen. Eine Weile blieb ich dort, hatte lange und interessante Gespräche, etwa zu einem Topf Bohnen. Ein kleines Camp der Wandervögel; alle sichtbar glücklich, unter Gleichgesinnten zu sein. Obwohl es nicht sonderlich kalt war, blieb ich kurze Zeit später wie vor Eis erstarrt stehen. Am Horizont war plötzlich eine uralte, archaische Macht der Natur aufgetaucht, die mir ihre Kältewellen von fern zusandte. Mir war, als könnte ich sie direkt auf meiner Haut spüren. Der Gletscher befand sich genau zwischen zwei Bergen, und seltsam graues Gehölz ebnete den Weg zu ihm – als liege dort der Eingang zu einer fremden, gefährlicheren Welt.

Schließlich war ich am Fuße des Berges angekommen. Der letzte Kilometer der Wanderung sollte härter werden, als alle vorherigen. Unbarmherzig, über Geröll und Gestein, immer steil bergauf. Die Inkatreppen, denen ich Monate zuvor in Peru begegnete, waren zwar immer noch härter, doch auch hier kam man wirklich aus der Puste. Jetzt verstand ich, warum dieser Trail auf meiner kleinen Wanderkarte den höchsten der erreichbaren Schwierigkeitsgrade besaß. Oben angekommen, wurde man jedoch für alle Anstrengung entschädigt: Die Gipfel des Fitz Roy-Massivs, welche mit ihrer Schönheit offensichtlich nicht ohne Grund das Werbebild Nummer eins für Patagonien sind. Darunter zwei magische Bergseen, über kleine Wasserfälle vom darüber liegenden Gletscher gespeist; ein Hellblau, wie aus einer Feenwelt.

Noch schlimmer wurde dieser steile Anstieg auf dem Weg hinunter: nicht so anstrengend, doch unglaublich belastend für die Knie. Das bescherte einige Schmerzen und auch die Füße rebellierten bereits seit Längerem. Der Rückweg führte dann lange Zeit entlang eines Berghangs, was wunderbare Ausblicke bescherte und den Geist zur Ruhe brachte. Zur Abenddämmerung kam ich in mein Dorf zurück.

Eine intensive körperliche Erfahrung, doch noch mehr als das. Die Welt der Berge – warum suchen sie die Menschen wieder und wieder auf, besteigen ihre Heiligtümer sogar? Die Antworten, die ich während meiner Reise darauf bekam, waren so verschieden, wie die Menschen hinter ihnen. Einige Dinge brachen jedoch immer wieder durch. Es ist ein elementares Sich-Aussetzen, eine unmaskierte Kontaktaufnahme mit der Natur und mit sich selbst. Manch einer riskiert bewusst sein Leben, und will es doch gerade dadurch, will es gerade dort, auf diesen Gipfeln, wiederfinden.

Sebastian Garbsch

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Der Körper lügt nicht!

Wie fast jedes Jahr im Mai haben wir einige Tage im Böhmerwald in Tschechien verbracht. Immer wieder fasziniert uns die urige Landschaft und die Gastfreundschaft der Menschen. Besonders schön war in diesem Jahr, dass unsere Freunde mal wieder Zeit hatten, mit uns zu wandern. So legten wir einige Kilometer zurück und tranken natürlich auch das ein oder andere Bierchen. Es war einfach schön, oder, wie der beste Freund meines Mannes sagte: „Fast wie Urlaub!“

Ich merkte aber auch, dass ich nicht gerade in Bestform bin und nahm mir vor, doch mal was zu tun, man wird ja auch nicht jünger und nächstes Jahr werde ich 50! In der darauffolgenden Woche nahm mich Susanne mit zum Sport. Nichts Wildes, einfach ein bisschen bewegen.
Ich musst ganz schön schnaufen, was mich aber nur darin bestärkte, am Ball zu bleiben. Am darauffolgenden Wochenende waren wir zur Geburtstagsnachfeier im Garten eingeladen. Auf dem Weg dorthin verspürte ich plötzlich wieder dieses Stechen zwischen den Schulterblättern, gleichzeitig hatte ich wie einen Krampf den Kehlkopf runter in die Brust. Nach einigen Minuten war alles wieder vorbei. Ich hatte das schon einmal vor 3 Jahren. Damals hatte man einen leichten Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelbereich festgestellt. Na ja, mal abwarten, wir hatten dann noch eine sehr schöne Feier. In den nächsten Tagen häuften sich diese Schmerzattacken und ich ging zum Arzt. Ich wurde „krankgeschrieben“ und ein MRT zeigte einige Tage später, dass meine Wirbelsäule recht starke Abnutzungserscheinungen hat und auch kleine Bandscheibenvorfälle bestanden. Trotz Medikamenten, es wurde nicht besser. Inzwischen konnte ich auch nicht mehr liegen, gerade bei Ruhe wurde es besonders schlimm. Als mein Mann am nächsten Morgen von der Nachtschicht kam fuhren wir ins Krankenhaus in die Notaufnahme. Ich wurde stationär aufgenommen, um eine Schmerztherapie durch zu führen. Nach 4 Tagen wurde ich wieder entlassen und es ging mir recht gut.

Doch ich hatte mich zu früh gefreut, bereits nach 2 Tagen ging alles von vorne los. Ich bekam von der Hausärztin Spritzen und wieder Medikamente, nichts half! Hinzu kam jetzt die Panik, ich spürte, das ist keine Kleinigkeit! Wir landeten wieder in der Notaufnahme. Dort gab man mir den Tipp, noch einmal eine Schmerztherapie oder ich sollte doch den Hausarzt wechseln! Ich fühlte mich absolut nicht ernst genommen, das kann doch nicht sein, ich spürte doch, dass etwas Schlimmes mit mir passiert! Inzwischen war ich bei Opiaten gelandet, aber besser ging es mir nicht. Ich erkannte mich selbst nicht wieder, von meiner Stärke war nichts mehr da, ich war nur noch ein jammerndes Häufchen Elend. Wir sind selbst bis nach Fulda in die Notaufnahme, da wir uns nicht anders zu helfen wussten, denn hier wurde ich ja nicht ernst genommen.

Die Ärzte dort waren völlig überlastet, ich sollte eigentlich dortbleiben, da irgendwelche Werte nicht der Norm entsprachen. Da aber kein Zimmer frei war, hätte ich die Nacht auf dem Gang verbringen müssen, da hat mich mein Mann doch lieber mit nach Hause genommen. Am nächsten Tag hatten wir einen Termin bei einem Spezialisten für Wirbelsäulenerkrankungen in Fulda. Er war mit der Qualität der MRT-Aufnahmen aus Eisenach nicht zufrieden und es sollten neue gemacht werden. Da aber das Gerät gerade kaputt war, bekam ich einen neuen Termin erst in vier Wochen. Ich brach in Tränen aus, ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich diese Wochen überstehen sollte.

Inzwischen waren wir innerhalb von circa 3 Wochen 8-mal in Notaufnahme bzw. beim hausärztlichen Notdienst in 4 verschiedenen Krankenhäusern, die Besuche beim oder durch den Hausarzt gar nicht mitgezählt. Ich hatte das Gefühl man glaubt mir nicht, aber die Schmerzen waren da und ich hatte das Gefühl, das meine Uhr tickt. Ich bin sonst nicht so hysterisch oder gar wehleidig! Was sollte ich bloß tun?

Die nächste Schmerzattacken führte uns nach Meiningen. Dort wurde ich wieder mal mit Verdacht auf Bandscheibenvorfall stationär aufgenommen. Die ersten Tage passierte nicht viel, da auch hier das MRT defekt war. Als dann eine Aufnahme gemacht wurde stellte man schnell fest, dass kein Bandscheibenvorfall vorlag. Freudestrahlend verkündete mir der Professor, dass ich nach Hause könnte. Ich sagte ihm, dass ich erst letzte Nacht wieder eine Attacke hatte und nach der Schwester geklingelt habe. Er hat mich dann darauf hingewiesen, dass ich mit einer anderen Verdachtsdiagnose wieder als neuer Patient aufgenommen werden müsste. Ich spürte, wenn ich mich jetzt wegschicken lasse, dann passiert was Schlimmes. Ich sagte ihm, dass ich nicht die Absicht habe das Krankenhaus zu verlassen bis ich endlich weiß, was mit mir los ist und er solle doch eine Neuaufnahme veranlassen.

Eine Stunde später wurde ich auf die Nachbarstation verlegt und eine junge Ärztin führte mit mir wieder mal ein Aufnahmegespräch. Und wieder erzählte ich von meinem Vater, der mit 47 Jahren an einen Herzinfarkt gestorben ist und verschwieg auch nicht, dass ich durch die vielen Tage, die ich mich jetzt gequält habe zum sehr starken Raucher geworden bin! Die Ärztin war alarmiert und schickte mich gleich zu einer entsprechenden Kollegin und für den nächsten Tag wurde eine Herzkatheteruntersuchung angeordnet. Ich wusste, dass ich dann 24 Stunden nicht rauchen darf, da ich mit einem Druckverband im Bett liegen muss. Das es meine letzte Zigarette werden wird, habe ich da noch nicht geahnt!

Am nächsten Morgen wurde ich ganz früh vorbereitet und zur Untersuchung gefahren. Ich hatte eigentlich keine Angst, ich war viel mehr froh, dass nun etwas passiert! Nach nur 5 Minuten wurde es hektisch, der Katheder wurde rausgezogen und die Untersuchung beendet. Der Arzt war am Telefonieren und die Schwestern rannten hin und her. Endlich kam der Arzt zu mir, was er mir zu sagen hatte, zog mir den Boden unter Füßen weg:

„Wir mussten die Untersuchung abbrechen, da ihre Adern zum Herzen verstopft sind. Stents sind nicht mehr möglich, es muss eine Operation am offenen Herzen erfolgen, bei der Ihnen drei Bypässe eingesetzt werden!“

Dann hielt mir die Schwester das Telefon ans Ohr, am anderen Ende war mein Mann! Was sollte ich sagen: „Schatz ich weiß nicht ob wir uns wiedersehen, die fliegen mich jetzt mit den Hubschrauber nach Bad Neustadt zur Herzoperation!“

Irgendwie habe ich es doch geschafft mit ihm zu sprechen und mir war eins klar, wenn du das überlebst, dann wird alles anders! Als erstes kommen die Kippen weg… Verdammt, ich bin nicht einmal 50, ich will doch noch leben!

Es ging dann alles sehr schnell. Leider habe ich von dem Flug nicht sehr viel mitbekommen, aber auf den tollen Blick auf die Klinik hat mich der Notarzt aufmerksam gemacht! In Bad Neustadt wurde ich von einem sehr verständnisvollen Team in Empfang genommen und am nächsten Morgen gleich operiert! In der darauffolgenden Nacht kam ein grün vermummter Mann an mein Bett und hielt mir ein Telefon an mein Ohr. Ich hörte die schönsten Worte meines Lebens: „Hallo Hase…“

Das ist jetzt fast 6 Jahre her und mir geht es prima. Mit dem Hubschrauberflug begann für mich ein neues Leben! Hätte ich nicht auf meinen Körper gehört und darauf bestanden im Krankenhaus zu bleiben wäre ich heute nicht mehr am Leben, sondern schon lange bei meinem Vater! Und bevor ich es vergesse, ich habe nie wieder geraucht, mache viel Sport und achte auf meine Ernährung, gemeinsam mit meinen Mann!

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