In meiner Schulzeit gab es viele Ereignisse, an die ich gern zurückdenke. An eine Lehrerin erinnere ich mich besonders und möchte ihr mit dieser Geschichte ein Andenken setzen.
Fräulein Köllner war Deutschlehrerin, sie war damals schon ein „altes Fräulein“. Mit Leidenschaft versuchte sie, uns Kindern die Deutsche Sprache näher zu bringen. Viel Geduld brachte sie auf, wenn Schüler in der Lesestunde die Sätze nicht fließend lesen konnten, doch sie hatte Erfolg. Im Fach Deutsch gab es auch die Unterrichtsstunde „Schönschrift“. Wir durften uns einen Text aussuchen, diesen in unser Heft übertragen und das Geschriebene verzieren, zum Beispiel mit Blumenranken. Schriftbild und Umrahmung waren eine Einheit und wir prägten uns die Worte besser ein. Fräulein Köllner regte auch unsere Phantasie an, Gedichte zu verfassen und diese Vierzeiler vorzutragen.
Zum Deutschunterricht gehörte ebenso das Schreiben von Diktaten, für meinen Mitschüler Siegfried ein Greul. Fünfunddreißig Fehler waren Standard. Er hatte eine Rechtschreibschwäche, was damals aber nicht erkannt wurde. Fräulein Köllner war am Verzweifeln. Sie wollte helfen und bestimmte einige Schüler, die mit Siegfried nach dem Unterricht übten. Langsam stellte sich eine Verbesserung ein. In den nächsten Diktaten machte Siegfried nicht mehr fünfunddreißig, sondern nur noch fünfzehn Fehler, trotzdem war die Benotung eine „Fünf“. Sie stand in der Klasse und lobte Siegfried! Die „Fünf“ musste sie geben, aber für seine Mühe bekam er in den Kopfnoten „Fleiß“ und „Mitarbeit“ jeweils eine „Eins“ eingetragen. Wir freuten uns über diese Belobigung. Siegfried schaffte die „Achte Klasse“ und begann eine Lehre in der Landwirtschaft. Leider gibt es diese Kopfnoten, ein gutes Mittel, die Lernwilligkeit zu belohnen, heute nicht mehr.
Unser erstes Klassentreffen wurde nach fünfundzwanzig Jahren organisiert. Mich hatte es von Brandenburg nach Thüringen verschlagen, dadurch hatte ich fast keine Kontakte mehr. Die Einladung erhielten auch einige Lehrer, Fräulein Köllner war dabei. Nacheinander berichtete jeder über Familie, Beruf und Hobbys. Ich staunte, als Siegfried an die Reihe kam. Er hatte einen Fuhrbetrieb aufgebaut. Scherzhafter Weise sagte er, dass er sich nun eine Sekretärin leisten kann, denn „das Schriftliche liegt mir ja nicht so…!“ Wir lachten, denn wir kannten seine „Schwäche“.
Fräulein Köllner hörte aufmerksam zu, sie war sehr glücklich. Hatte sich doch ihre Mühe und ihre Liebe zum Lehrerberuf gelohnt!
Hannelore Saalfeld