M. Tandler (43)

Der Wunschbaum

Es war einmal ein Nadelbaum,
Der hatte einen großen Traum:
Er wünschte sehnlichst sich nichts mehr
Als dass er nur ein Laubbaum wär.

Er wiegte sich im Sonnenschein
Und seufzte tief: „Ach, wär das fein;
Ich würd‘ mit solchem Blätterkleid
Beehren jede Festlichkeit.

Mein Blätterrauschen könnt ich hören
Und mich an seinem Klang betören;
In meinem Schatten ruhten leise
Die Wanderer von schwerer Reise.

Und eines wäre noch das Beste:
Die Blätter schützten meine Äste
Bei Regen, Sturm und heißer Sonne;
Was gäb‘ ich drum für diese Wonne!“

Drauf blickte unser Baum nach oben,
Die Äste flehend hoch erhoben:
„Ach Gott, sei bitte gnädig hier,
Erfüll‘ doch dieses Wünschlein mir.“

Doch Stille war die Antwort nur,
Ganz ruhig lagen Wald und Flur.
Der Baum, er wurde ärgerlich,
Und haderte mit Gott und sich.

Dann reckte patzig unser Baum
Erneut sich in des Himmels Raum:
„Warum, Gott, bleibst du stets im Stillen?
KANNST du nicht meinen Wunsch erfüllen?“

Doch wieder war die Antwort Schweigen.
Da rief er voller Wut: „Verneigen?
Vor dir? Den Kirchengängern gleich?
Bleib‘ doch allein im Himmelreich!“

Da, plötzlich, stieg ein Nebel, weiß
empor und unbeschreiblich heiß
Glühten die Nadeln am zornigen Baum.
Als der Nebel verschwand, man glaubt‘ es kaum,

Sah am Baume man keine Nadeln mehr stehen.
Dafür waren nur grüne Blätter zu sehen.
Der Baum war vor Freude außer sich:
„Wie prächtig ich bin! Ganz königlich!“

Er posaunte in alle Welt hinaus:
„Kommt herbei! Schaut mich an! Bleibt nicht zu Haus!“
Doch nur eine Raupe kroch auf ein Blatt
Und fraß sich an diesem genüsslich satt.

Die Wochen vergingen, doch vieles blieb gleich,
Vorm Baum lag die Wiese, dahinter der Teich.
Das Rauschen der Blätter war ihm bald genug,
Es schreckte die Vögel, die, ruhend vom Flug,

Auf den Ästen Gesellschaft geleistet hatten.
Auch nutzte kein Wandrer den kühlenden Schatten:
Denn an einem Wege stand unser Baum nicht.
Und kein rauschendes Fest kam jemals in Sicht.

Doch eines Morgens besah mit Schreck
Der Baum seine Blätter: Das Grün war weg!
Stattdessen die Farben jetzt braun, gelb und rot,
Und nur vier Wochen später noch größer die Not.

Denn nun fielen sie ab, die einst herrlichen Blätter,
Und schlecht und schlechter wurde das Wetter
Doch kein Blatt mehr schützte vor Regen und Schnee
Unsern Baum, er stand frierend und voller Weh.

Dann sah er die anderen Bäume im Tann,
Eine dunkle Erkenntnis überkam ihn dann,
Und die Äste erneut zum Himmel gebogen
Rief er: „Gott, warum hast du mich nur so betrogen?“

15

Leben

Das Leben, es ist Kampf und Leid
Und Mühsal immerfort,
Ist ungeteilte Einsamkeit,
In der man, mit sich selbst im Streit,
Erhofft manch‘  besser‘n Ort.

Es scheinen Krankheit, Tränen, Schmerz
Ein ewiges Gebot,
Und müd‘ und müder schlägt das Herz,
Schlägt leis‘ und leiser, himmelwärts,
Dann endet alle Not.

Doch ein Moment macht manchmal nur
Das Leben lebenswert,
Selbstlose Hilfe, Treueschwur,
Ein Kinderlachen, frei und pur
Sind Freude, unbeschwert.

7

Der Ausflug

Der Tag erwacht, das Bienchen auch
Aus leichtem Bienenschlummer,
Fliegt auf den nächsten Blütenstrauch,
Bar jeder Art von Kummer.

Sie schaut beschwingt ins Morgenrot,
Und streckt sich ihre Glieder,
Fliegt ohne Sorgen, ohne Not
Vergnüglich auf und nieder.

Sie saust den halben Vormittag
Durch ihre Blumenwiese,
Schlägt Purzelbäume, wie sie’s mag,
In warmer Sommerbrise.

Und wie sie hoch am Himmel fliegt,
Sieht sie in weiter Ferne,
Wie Nachbarswiese strahlend liegt:
Da möcht‘ sie hin, so gerne!

Zwar hat die eig’ne Wiese auch
ganz wunderbare Ecken,
Wo einlädt mancher Baum und Strauch
Zum Spielen und Verstecken.

Doch ach, es scheint das ferne Grün
Viel schöner, heller, besser;
Die Blumen dort viel bunter blüh‘n,
Viel saub‘rer die Gewässer.

Sie sieht verstohlen um sich, doch
Die Chance, sie ist da;
Erst zögert sie ein bisschen noch,
Verboten hat’s Mama.

Doch ich, so denkt sie, will ja nur
ganz kurz mal rüber schauen,
Bin bis zum Mittag, bis 12 Uhr
Zurück in heim‘schen Auen.

Los geht’s! Mit Tempo, schnell, rasant
Fliegt Sie dem Ziel entgegen.
Sieht unter sich ein grünes Band:
Sie kennt der Wiese Segen.

Bald fliegt Sie über andres Land,
Kein Grund, sich aufzuregen.
Sieht unter sich ein braunes Band:
Sie kennt des Feldes Segen.

Dann fliegt Sie über fremdes Land
Und spürt den nahen Regen,
Sieht unter sich ein graues Band:
Und fragt verblüfft: Weswegen?

Ein graues Land? Was soll der Quatsch?
Wer hat denn solche Bleibe?
Sie fliegt und denkt: Was ist hier – PATSCH,
Fliegt vor ‘ne Windschutzscheibe.

Es fängt zu regnen an, ein Glück,
Rein wird die Luft und frischer,
Und Bienchen fliegt ein letztes Stück
Mithilfe Scheibenwischer.

Mama und auch Papa zu Haus
Ihr Bienchen lange suchen,
Die Mama weint tagein, tagaus,
Den Papa hört man fluchen.

Und die Moral von der Geschicht‘?
Die ist schon lange da.
Ganz oft liegt fern das Gute nicht,
Sehr oft ist es ganz nah.

15

An mein Kind

Der Tag, die Nacht, der Tag, die Nacht,
Ganz still gingen die Stunden;
Man hat geklagt und hat gelacht,
War krank um zu gesunden.

Das Leben, es war leicht und nett
Auf meist geraden Wegen,
Es war ein Fluss im sanften Bett,
Fast frei von Schicksalsschlägen.

Doch irgendwann wuchs Sehnsucht leis‘
In uns und wurde stärker,
Zu enden der Gewohnheit Kreis
Und der Routine Kerker.

Dann kam der Tag, die Stille brach,
Und eine Stimme, heiter,
Zum ersten Male von Dir sprach.
Und sprach lang in uns weiter.

Von Dir! Wer bist Du? Wer sind wir?
Und wirst Du mit uns gehen?
Was wünschen, hoffen wir von dir?
Und kannst Du uns verstehen?

Doch Tag für Tag wuchs Zuversicht,
Wuchs ahnungsvolles Hoffen;
Erwartungsfroher Liebe Licht
Hielt unser Herz weit offen.

Und nah der stillen, heil’gen Zeit,
Natur lag wie erfroren;
Ein Innehalten weit und breit,
Da wurdest Du geboren.

Doch Du, mein Junge, bist nicht still,
Bist lebhaft, fröhlich, heiter;
Und wenn ich ruhig stehen will
Dann willst Du meistens weiter.

Du bist kein Kinderwagenkind,
Lässt schieben Dich nicht gerne,
Auf eignen Füßen, ganz geschwind,
Geht’s in die weite Ferne.

Willst hören, schmecken, fühlen, sehn,
Die Welt um Dich entdecken;
Vom Drang, die Dinge zu verstehn,
Kann niemand dich verschrecken.

Kennst Lüge nicht noch Hintersinn,
Spielst ehrlich Deine Spiele;
Auch nicht nach Nutzen und Gewinn
Verfolgst Du Deine Ziele.

Du lässt von Äußerlichem nicht
In Deinem Tun Dich leiten,
Nur wahres, inneres Gewicht
Kann Deinen Weg bereiten.

Mitunter eigensinnig, stur,
Der Laune eingegeben,
Machst Du so manches einfach nur
Um Widerspruch zu leben.

Oft albern, voller Firlefanz,
Schleichst leis‘ Du wie ein Tiger,
Tanzt gern mit Hoppelhase Hans,
Bist Eiswettessen-Sieger.

Spielst Teddy, Dino, Pittiplatsch
Und manchmal auch Tornado,
In nassen Pfützen voller Matsch
Da liegt Dein Eldorado.

Doch ist nicht immer Spiel und Spaß,
Nicht Freude nur bei Dir,
Dann bist Du krank, bist matt und blass,
Und mit Dir leiden wir.

Du zeigst uns an mit jedem Schritt
Wohin Du möchtest gehen.
Und wir? Wir kommen manchmal mit
Und bleiben manchmal stehen.

Doch was auch immer kommen mag:
Wir sind bei Dir an jedem Tag
Und werden’s immer sein.
Vertrauensvoll siehst du uns an,
Umarmst uns mit den Blicken dann:
Nie bist Du ganz allein.

12

Ruhla – Momentaufnahmen meiner Heimat

Als Dreizehnhundertfünfundfünzig
Ein neuer deutscher Kaiser thront,
Im Frankenreich der schwarze Prinz nicht
Das Land und nicht die Menschen schont,
Trat eine Siedlung frisch ans Licht
Mit Namen Rolla, klar und schlicht,
Dem Bache gleich, der springt und fließt
Und in den Erbstrom sich ergießt.

Die Köhler waren’s und die Schmiede,
Die diesen Ort gegründet hatten,
Um Holz und Erze, ganz solide,
Zu bergen in des Waldes Schatten.
Und auch des Krieges Wehr, die Waffen,
Wurden ganz meisterhaft geschaffen.
Dann kamen Hirten, kamen Bauern,
Und Wohlstand wuchs in Ruhlas Mauern.

Das Messerschmieden kam zur Blüte
Wie nicht ein zweites Mal im Land,
Den Rühler Schmied mit starker Güte
Graf Ludwig sah mit schwacher Hand
Und wurde hart, so hart wie Eisen,
Dem eigenen Adel zu verheißen
Nie mehr zu sein des Volkes Plage.
Welch‘ guter Stoff für eine Sage!

Doch Einigkeit ist nie von Dauer,
Wenn Trennung dunkel niedersinkt,
Geteilte Länder tragen Trauer,
Da Zwietracht niemals Segen bringt.
Auch Ruhla trug der Spaltung Fron
Und stand zwei Herzögen in Lohn.
Zwei evangel‘sche Kirchen zeugen
Noch heut‘ vom unfreiwill‘gen Beugen.

Das Messerhandwerk ging dahin
Im kleinstaatlichen Walten,
Doch lag darin auch der Beginn,
Um Neues zu entfalten.
Als Kurbad kam die Stadt zu Ruhm,
Bekannt im ganzen Königtum.
Die Forstwirtschaft gedieh zur Ehre
Dank Forstrat Königs Waldmesslehre.

Und auch des Kunsthandwerks Erfahrung
Niemals verging an diesem Ort.
Der Hände und des Geistes Paarung
Sie leben hier auf ewig  fort.
Geschnitzter Tabakspfeifen Pracht
Hat Ruhla neue Ehr‘ gebracht.
Der Meerschaum-Pfeifenköpfe Stil
Empfing der Lobgesänge viel.

Hurra! Hurra! Sie alle rufen:
Hurra! Und nie war Lebenslust
So groß. Auf vielen Straßen, Stufen
Sieht man manch‘ stolzgeschwellte Brust.
Denn Stadtrecht wurde heut‘ verkündet
Auf das die Stadt zur Stadt sich findet.
Kurz darauf auch die Teilung endet:
Die Stadt geeint, das Blatt gewendet.

Und weiter ging des Handwerks Streben
Den gold‘nen Boden zu bereiten,
Die Industrie entstand, um Leben
Und  Reichtum stetig auszuweiten.
Speziell die Produktion von Uhren
Prägte das Bild in Ruhlas Fluren
Für mehr als hundertzwanzig Jahre.
Das Gott noch länger sie bewahre!

Gegründet Achtzehnzweiundsechzig,
Metallwaren der Brüder Thiel
Verkauften sich ringsum so prächtig,
Dass bald ihr Blick auf Uhren fiel.
Erst kamen Spiel-, dann Taschenuhren
Aus Ruhlas Manufakturen.
Die Stadt, sie wurde weit bekannt
Im Ausland und im Heimatland.

Als erster deutscher Produzent
Baute man Armbanduhren dann,
Erfolgreich bis zu dem Moment,
Als aus dem Nichts ein Krieg begann.
„Was machen wir?“ fragten die Gründer
Und fertigten von da an Zünder.
Ging auch der zweite Krieg verloren:
Die Uhren wurden neu geboren.

War jetzt der Staat ein völlig Neuer
So wie das Produktionssystem,
Es glühte doch das alte Feuer
Im Uhrenbau wie ehedem.
Ganz neu entstand die Uhrfabrik
Durch sie erwuchs auch Ruhlas Glück.
Und lange sonnt‘  im hellsten Glanz sich
Die Uhr Kaliber vierundzwanzig.

Doch Staaten können selbst zerbrechen,
Auch wenn sie lange Zeit nichts merken;
Denn manchmal nur sind‘s eig‘ne Schwächen,
Doch häufig and‘rer Staaten Stärken.
Und brachte Freiheit auch die Wende:
Ging doch manch‘ Gutes hier zu Ende.
Das Uhrenwerk ward  liquidiert
In kleine Firmen überführt.

Die Stadt stand wieder vor dem Nichts,
Gezwungen, neu sich zu entdecken.
Sie tat’s entschlossen, angesichts
Zahlreicher wirtschaftlicher Schrecken.
Touristisch fing der Ort jetzt an
Mit mini-a-thür und Rodelbahn.
Als neuster Abschnitt Rühl’scher Dichtung
Entstand die Ferienhaus-Lichtung.

Und blick‘ ich heut‘ aus meinem Zimmer
Auf diese Stadt, voll Zärtlichkeit;
Schau‘, wie sie träumt im Abendschimmer
Von manch‘ großer Vergangenheit.
Seh‘ der Bewohner Ehrlichkeit,
Die mir ans Herz wuchs mit der Zeit.
Dann weiß ich: Mit nur etwas Mut
Wird sicher alles, alles gut.

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