Ein letzter klarer Sonnenstrahl wärmt heute meine Glieder,
der Herbst färbt Blätter überall, sie fallen tanzend nieder.
Ich sitz vor meinem Gartenhaus und denk noch nicht an morgen.
Wie sieht die Welt so friedlich aus, ganz frei von allen Sorgen!
Am Himmel zieht ein Vogelpaar hoch oben seine Kreise.
Es macht sich bald wie jedes Jahr auf eine lange Reise.
Ein Mäuslein sucht im nahen Busch nach Nüssen und nach Kernen,
dass man jetzt Vorrat schaffen muss, muss jedes Mäuschen lernen.
Mein Blumenbeet – einst bunt und schön – es hat schon große Lücken.
Ich werde vorm nach-Hause-gehn die letzten Blumen pflücken.
Die Uhr schlägt fünf, nun wird es Zeit, den Garten zu verlassen,
bald macht sich Dunkelheit schon breit auf Wegen und in Gassen.
Ich bring die Blumen nun ins Haus, auf einmal wird mir klar,
dass noch kein zweiter Blumenstrauß so schön wie dieser war.
Das klingt doch irgendwie
altmodisch oder zu poetisch für die heutige Zeit, oder? Aber wenn man einmal innehält
und sich als Teil dieser wunderschönen Natur begreift, kann man seinen Gedanken
Flügel wachsen lassen.
Ich schrieb die Verse 2017 an
einem wunderschönen sonnigen Herbsttag auf der Bank vor unserem Gartenhäuschen
und ahnte noch nicht, dass der Abschied vom Sommer auch der vom Garten werden
sollte…
Als ich neulich das Gedicht
wieder in den Händen hielt, wurde mir bewusst, dass ich über Jahrzehnte mit
diesem kleinen Fleckchen Natur buchstäblich verwurzelt war.
Als kleines Mädchen besuchte ich in den 1960iger Jahren öfter mit meinen Eltern meinen Opa, der in einer Bauhaussiedlung wohnte. Jede Wohnung hatte schon eine eigene moderne Toilette mit Spülung und sogar einen Balkon, wo man im Sommer draußen sitzen konnte. Der Hinterausgang führte direkt hinauf zum Wald. Rechts vom Aufgang gab es einen gemeinsamen Wäscheplatz und links für jeden Mieter noch einen kleinen Streifen Land für ein Beet, einen Platz für Brennholz oder einen Kaninchenstall. Viele Menschen lebten in der Siedlung und da waren auch jede Menge Kinder zum Spielen. Die meiste Zeit verbrachte man als Kind ja draußen und da war immer etwas los. Doch was mich genauso begeisterte, war Opas schöner Garten, nur einige Meter vom Haus entfernt. Oftmals saß ich auf der kleinen selbst gebauten Bank inmitten von Astern, Löwenmäulchen und Dahlien und wartete, bis Opa noch etwas selbst gepflücktes Obst oder ein paar Möhren oder Radieschen in einer Tüte verstaut hatte. Davon wurde auf dem Heimweg gleich gekostet.
Anfang der 1970ger Jahre zog ich
mit meinen Eltern in genau diese Wohnanlage. Nun gehörten die Kinder, der
Spielplatz, die Gärten und der nahe Wald zu meinem direkten Umfeld. Täglich
ging es nach der Schule hinaus, denn da war immer etwas los. Oft ging es zum
Spielen in den Wald.
Aus Moos und Ästen bauten wir
geheime Verstecke. Auf dem Spielplatz spielten wir Völkerball, Hüpfkästchen,
Gummitwist, Versteckspiele und vieles mehr. Roller, Fahrrad oder Puppenwagen
waren immer mit von der Partie. Und weil man nichts versäumen wollte, wurde das
Abendbrot ganz nebenbei draußen verzehrt. Auch im Winter traf man sich draußen
zur Schneeballschlacht oder wir bauten eine Schneeburg, so groß, dass möglichst
viele Kinder hinein passten.
Opas Garten geriet ein klein
wenig in Vergessenheit für mich. Für ihn war er ein Kleinod und nach der Arbeit
sein Lebensmittelpunkt. Wie stolz war er über jede Blume, die unter seiner
Pflege gedieh. Mühselig versorgte er seine Schützlinge mit Wasser, was ja nicht
so einfach war. Im Garten selbst gab es keine Wasserstelle. Doch zirka 200
Meter entfernt war ein kleiner Brunnen, den ein Bächlein aus dem Wald speiste.
Der Weg bis dorthin war steil und beschwerlich. Wie sich Opa mühte mit Eimern
und Kannen hatte ich damals nur nebenbei wahrgenommen…
Nach der Schulzeit verließ ich
Ruhla für drei Jahre. Doch nach meinem Studium in Leipzig stand für mich fest,
dass ich eigentlich nur in Ruhla leben wollte.
Bald wurde eine Familie gegründet.
Es herrschte damals Wohnungsnot und wir waren froh, dass wir mit unserem
kleinen Töchterchen eine Wohnung im Nachbareingang ergattern konnten. Ein Jahr
später war mit der Geburt unseres Sohnes die Familie komplett. Mein Mann hatte
schon vor der Hochzeit ein paar Quadratmeter Land pachten können, auf dem wir
ein paar Hühner hielten. Dieses kleine Stückchen Erde wurde von uns oft aufgesucht.
Außerhalb des Hühnerauslaufes war unter einem stattlichen Mirabellenbaum ein
kleines Stückchen ebene Wiesenfläche. Dort fand sich Platz für eine Gartenbank
und einen Sandkasten für unsere beiden Kinder, alles Marke Eigenbau. Wenn es im
Sommer schön warm war, wurde ein Planschbecken für die Kinder aufgeblasen.
Damit sie auch darin baden konnten, transportierten wir das Wasser eimerweise
aus unserer Wohnung im vierten Stock über den Spielplatz dorthin. Wir haben auf
diesen paar Quadratmetern schöne Sommertage verbracht. Langweilig war es nie.
Oma war auch oft mit von der
Partie. Auch sie genoss die Stunden im Grünen und freute sich, den Enkelkindern
beim Spielen zusehen zu können. Für die Kinder, die nun langsam größer wurden,
war auch der Spielplatz ganz nah und wir konnten sie unbesorgt ziehen lassen.
In den 1980ger Jahren hatten wir
die Möglichkeit, einige Meter entfernt ein kleines Hanggrundstück zu pachten,
gleich neben dem Garten von meinem Opa, der bereits seit einigen Jahren
verstorben war. Erst hieß es, Ordnung zu schaffen. Es hatte sich im Laufe der
Jahre dort allerhand Unrat angesammelt. Das Gelände war sehr steil, aber es
gelang uns, einen ebenen Platz zu schaffen der groß genug war, um ordentliche
Gartenmöbel aufstellen zu können. Oberhalb des Platzes auf der Wiese war ein
riesiger Blaubeerfleck, den die Kinder im Sommer plündern konnten. Und für unseren
Familienhund gab es dort viel Auslauf.
Als die Wende kam konnten wir so
einiges verändern. Die Ausstattung an Gartenmöbeln wurde komfortabler, man
konnte sich ja nun jeden Wunsch erfüllen, wenn man das nötige Kleingeld dazu
hatte. So kamen Grill und Partyzelt hinzu, ein Indianerzelt für die Kinder und
dann auch mal ein. kleines Hauszelt, wo wir ab und zu ein Wochenende
verbrachten. An schönen Wochenenden ging es mit
Kaffeekanne und Kuchen immer hierher.
Nun hatte es sich ergeben, dass
ein weiteres Grundstück von seinen Inhabern nicht mehr genutzt wurde. Dieses
lag genau zwischen dem neuen und dem alten und dort stand auch noch ein
Gartenhäuschen, welches wir erwerben konnten. So kamen wir zusätzlich zu einer
Campingtoilette und Gerätehaus, Beeten und viel Grünfläche zum Pflegen. Ein
Teil davon war das kleine Stückchen Berghang, wo
mein Opa damals seine Beete hatte. Weil nun viel mehr Arbeit für die Pflege des
Geländes auf uns wartete, wurde neben Geräten für die Blumen-, Rasen- und
Heckenpflege ein zweites Gerätehaus angeschafft.
Nach der Jahrtausendwende wurde die Bauhaussiedlung umfassend saniert. Viele Familien zogen damals aus, um den Baumaßnahmen zu entgehen. Da einige Jahre zuvor eine schwere Erkrankung meine Selbstständigkeit sehr eingeschränkt hatte, beschlossen wir zu bleiben. Wir hatten ja auch noch den Garten, wo man dem Baulärm mal entrinnen konnte. Unsere Kinder waren schon aus dem Haus und für uns war das eine gute Lösung. Gleich morgens, als der Baulärm begann, ging es hinaus und am Abend erst wieder zurück. Nun konnte ja alles nur noch besser werden. Der Garten wurde damals zu unserem Lebensmittelpunkt. Es hatte auch an Arbeit nie gefehlt. Schließlich war ein großes Areal in Ordnung zu halten: Rasen mähen, Hecken schneiden, Zäune reparieren, Wege säubern, Stufen erneuern, Stützmauern bauen und ausbessern- und das nicht nur im, sondern auch außerhalb des Geländes. Da war ja niemand, mit dem man die Arbeit hätte teilen können. Die meiste Arbeit blieb also für meinen Mann. Doch auch ich konnte mich
nach und nach mehr daran beteiligen. Die Natur war ohnehin der beste Therapeut,
das war mir klar. Ich war dankbar dafür, mich dort ohne jeglichen Druck
betätigen zu können.
Inzwischen hatte sich auch die
Familie vergrößert, wir wurden Großeltern. Für unsere Enkel gab es in unserem
Garten viele schöne Erlebnisse in freier Natur. Oftmals traf sich die ganze
Familie zu einem gemütlichen Grillnachmittag.
In der neu sanierten Siedlung
indes hatte sich viel verändert. Doch eine Hausgemeinschaft wie früher gab es
nicht mehr und wir wurden immer mehr zu Fremden in der uns früher so vertrauten
Umgebung. Wir planten den Umzug und packten eines Tages all unsere Sachen. Den
Garten wollten wir weiterhin pflegen, wenn nun auch ein ganzes Stück Weg
dazwischen lag. Zu sehr hing unser Herz daran.
In den kommenden Jahren suchten
wir im Sommer so oft es ging den Garten auf. Es wartete dort immer eine Menge
Arbeit auf uns. Natürlich gönnten wir uns auch das eine oder andere Stündchen
zum Ausruhen. Doch dann kam ja auch immer noch der Heimweg.
Mit der Zeit fiel es uns immer
schwerer das alles zu schaffen und wir mussten uns schweren Herzens von dem
Kleinod trennen. Zum Glück fand sich eine junge Familie, die den Garten weiterführen
wollte. Uns bleiben die Erinnerungen. Diese sind genau so fest im Herzen
verwurzelt wie einst die Blumen und Sträucher im Garten. Immerhin hatten in den
rund 60 Jahren fünf Generationen viele schöne Erlebnisse auf diesem kleinen
Fleckchen Erde.
Ich brachte die Blumen damals ins
Haus, bis heute ist mir klar, dass dieser letzte bunte Strauß der allerschönste
war.
Petra B.